Kolumne: Sag mir was Du isst!
Sag mir was Du isst und ich sage Dir wer du bist. Gedanken darüber, wie Integration und Toleranz über den Magen geht - Ein kulinarischer Reisebericht.
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© Text und Fotos: Andreas Zimmermann
Ein kulinarischer Reisebericht
Es gibt doch nichts Schöneres als Speisekarten zu studieren. Ich mache das überall, aber natürlich mit Vorliebe gerne an Orten wo ich mich zum ersten Mal aufhalte. Ein paar wenige Speisekarten reichen und ich bin im Bilde, was die regionalen Spezialitäten sind. Viele dieser Gerichte waren ja ursprünglich "Arme-Leute-Essen", geben also Auskunft darüber, was der Boden hergibt und wie die Menschen leben oder gelebt haben. Jahrhunderte an Geschichte stecken also in regionalen Spezialitäten. Gibt es etwas Angenehmeres, als ein Land über seine kulinarischen Genüsse kennenzulernen? Für mich nicht. Mit grosser Neugierde bestelle ich auch gerne Gerichte, von welchen ich keine Ahnung habe, was es ist. Geniessbar war bis jetzt beinahe Alles und oft hat es sogar besser geschmeckt, als man nach dem optischen Eindruck erwarten durfte.
Was der Bauer nicht kennt das frisst er nicht
Woher kommt diese Neugierde? Ist sie wohl angeboren, steckt mir einfach im Blut? Warum bin ich nicht wählerisch? Heute richtet sich ja alles nach den Kindern: "Was möchtest Du denn heute essen?" "Wenn du das nicht magst, so musst du das nicht essen." "Soll ich dir etwas anderes kochen?" So etwas gab es bei uns nicht. Da wurde gegessen was auf den Tisch kam. Ohne Gemüse gab es kein Fleisch. Wir mussten von Allem essen, ob es uns geschmeckt hat oder nicht. Nur so lernt man doch die verschiedenen Geschmacksrichtungen kennen, salzig, sauer, bitter, süss usw. oder die verschiedenen Konsistenzen und Texturen von Lebensmitteln. Nur was man kennt kann man auch lieben lernen, oder auch hassen. Wie kann man nur sagen "das mag ich nicht", wenn man es noch nie versucht hat? Es gab Dinge, die haben mich damals wirklich nicht begeistert, zum Beispiel den bitteren Chicorée, als Salat oder auch mit Schinken umwickelt und mit Käse überbacken. Letzteres ging ja noch vor allem wenn ich das Glück hatte nur einen kleinen "Zapfen" zu kriegen. Bei den grossen dicken stand jedoch das Verhältmis vom Schinken zum Gemüse in einem krassen Missverhältnis. Ich gebe es zu, ich bin ein bekennender Karnivore (Fleischfresser). Doch wenn man es genau anschaut, so war auch das Steak mal Grünzeug.
Willenskraft
Meine Erziehung hat mir sicher geholfen, immer alles zu verkosten und meist noch Spass zu haben dabei. Einige Male hat mich dies aber ziemlich Überwindung gekostet, meine Gastgeber nicht vor den Kopf zu stossen. Dazu braucht es dann Willenskraft und diese kann man trainieren wie einen Muskel. Dies habe ich auch durch die Live-Reportage "ÜberelebensWille" mit Evelyne Binsack gelernt, welche sich mit Willenskraft befasste. Dr. Roy Baumeister hat zu diesem Thema den lesenswerten Bestseller "Die Macht der Disziplin: Wie wir unseren Willen trainieren können" verfasst.
Es gibt ein berühmtes Experiment mit vier-jährigen Kindern. In einem Zimmer steht ein Tisch. Darauf ist ein roter Knopf montiert und daneben liegt eine Süssigkeit. Der Versuchsleiter sagt dem Kind: "Ich verlasse jetzt das Zimmer. Wenn du die Süssigkeit essen willst, so musst du zuerst den roten Knopf drücken. Dann darfst du die Süssigkeit essen. Wenn du aber Geduld hast und wartest bis ich zurückkomme, so erhälst du eine zweite Süssigkeit dazu." Wie hätten wohl Sie, liebe Leserinnen und Leser im Alter von vier Jahren bei diesem Experiment reagiert?
Was habe ich doch nicht schon alles gegessen in meinem Reiseleben: Elch, Bär, Luchs und Karibu. Chief Titus Titus aus Old Crow fragte mich Mal: "Magst du Hasensuppe?" Als ich bejahe drückt er mir ein Gewehr in die Hand und schickt mich auf die Jagd.
In Kenya ass ich ein geröstetes Fleisch, das war zäher als eine Schuhsohle. Immerhin war es so gut gebraten, dass kein Risiko mehr bestand sich eine Krankheit einzufangen. Tapfer habe ich mich durchgebissen im wahrsten Sinne des Wortes. Nach dem halben Teller haben jedoch meine Kaumuskeln so geschmerzt, dass ich keinen Bissen mehr runterbrachte. Unbemerkt verschwand dann Stück um Stück unter dem Tisch, wo glücklicherweise schon eine hungrige Katze wartete.
In Island habe ich Papageientaucher gegessen, ein Ragout vom Schafsherz mit süsser Rhabarbermarmelade und natürlich den berühmten Hákarl, das fermentierte Fleisch des Grönlandhais. Der Grönlandhai hat keine Nieren, so dass sich der Harnstoff im Fleisch anreichert. Erst durch die richtige Lagerung und Fermentierung wird das Fleisch geniessbar. Es riecht aber penetrant nach Ammoniak oder Urin. Mit einem kräftigen Roggenbrot gegessen und mit genügend Brennivin (isländischer Kartoffelschnaps) runtergespült habe ich aber auch das gemeistert.
Meine Willenskraft überfordert hat jedoch eine Mahlzeit in Ägypten. Da blieb mir nur der Gang auf die Toilette und danach die Notlüge, dass ich schon einige Tage eine schlimme Magenverstimmung hätte und wohl besser nichts essen sollte. Es gab nämlich "White Meat", weisses Fleisch. Zuerst dachte ich, es gebe da wohl Geflügel, aber "White Meat" war nichts anderes als Fettklösse. Ich habe nichts gegen einen saftigen durchzogenen Braten oder ein durchzogenes Steak. Aber wenn es zuviel Fett dran hat, so schneide ich es weg. Dieses "White Meat" war aber nichts als Fett, schlabberiges Fett eines alten Schafbockes, serviert mit Reis und Salat. Man kann ja die Willenskraft trainieren, nur finde ich es in diesem Fall wenig erstrebenswert durch Training das Fett eines alten Schafbockes essen zu können. Der gute Wille wäre zwar da gewesen, der Brechreiz war aber stärker.
Döner, Frühlingsrolle und Co.
Kulinarisch leben wir eigentlich im Paradies. Wer für Neues offen ist muss nicht um die Welt reisen, sondern kann sich gleich zu Hause um die Welt essen. Gehen wir heute zum Griechen oder doch lieber zum Türken? Eine Pizza beim Italiener oder ein Curry beim Inder? Die Auswahl ist enorm vielseitig. Man kann sagen, Döner, Frühlingsrolle und Co. haben sich in unserer Gesellschaft integriert. Wie sieht es aber mit den Menschen aus? Wer schon einmal das Treppenhaus eines Wohnblocks betreten hat, in welchem vorwiegend Migranten leben, weiss: Hier riecht es in den seltensten Fällen nach Rösti, Sauerkraut oder Käsefondue. Die Migranten bleiben unter sich, mit ihrer Sprache, ihrer Kultur und ihrer Küche. Es findet immer mehr eine Art Ghettoisierung statt. Doch sind wir so viel besser? Wagen wir doch einen Blick Richtung Süden in die Tourismuszentren am Mittelmeer. Da stehen Werbetafeln am Strassenrand mit Aufschriften wie: "Hier spricht man Deutsch", "Eisbein mit Sauerkraut", "Wienerschnitzel" oder "Echter Deutscher Bohnenkaffee mit Bärenmarke". Wie viele von uns gehen im Urlaub in ihr Ghetto im Süden, wo sie alles genau so vorfinden wie sie es von zu Hause her kennen? Auch an Orten, welche nicht explizit auf eine deutschsprachige Kundschaft ausgerichtet sind, sieht es nicht viel besser aus. Was dort angeboten wird nennt sich dann halt "Internationale Küche".
Integration geht durch den Magen
Wir geben uns gerne als tolerant aus. Die Einstellung "Wenn du mich in Ruhe lässt, dann lass ich auch dich in Ruhe" hat aber nichts mit Toleranz zu tun, das ist Gleichgültigkeit. Toleranz setzt Verständnis und Respekt voraus. Man kann aber nur verstehen und respektieren was man kennt. Es gibt doch nichts angenehmeres als eine Kultur über ihre Küche kennen zu lernen. Glücklicherweise ist die Nahrungsaufnahme lebenswichtig, wir können uns also täglich darin üben. Dies ist also mein Ansatz für Migranten, Asylanten und Touristen: "Lasst euch auf die fremde Küche ein, Integration geht durch den Magen!"